Der Bereich Marktplatz – Schibenertor gewinnt an Bedeutung, wenn nicht durch eine Markthalle, dann halt durch eine Bibliothek. Und wenn mit der Realisierung dieses Vorhabens endlich die Erkenntnis wächst, dass sich eine Richtungsfahrbahn am Obren Graben abbauen lässt, könnte hier ein Platz für Events entstehen, der auf der anderen Seite des Uniongebäudes fehlen wird.
Die Idee, alle St.Galler Bibliotheken an einem Standort zusammenzuführen, ist gut. Die Art, dies in einer «Public Library», einem zentralen Ort für Bildung zu tun, offen für die ganze Bevölkerung, ist sehr gut. Das aus dem Architekturwettbewerb erkorene Siegerprojekt «Doppeldecker» überzeugt konzeptionell.
Dass ich den Standort Hauptpost dem Blumenbergplatz bzw. dem Uniongebäude vorziehe, ist kein Geheimnis. Die Gründe habe ich hier schon dargelegt.
Ein Marktplatz ist ein Ort des Handels. Wenn sich aber mein Wunsch nach einer Markthalle mit erweiterten Nutzungen nicht erfüllen lässt, kann ich mit einer Bibliothek zur Belebung des Marktplatzes auch leben.
Es wird wohl auch künftig nicht an leerstehenden Flächen in der Altstadt mangeln, welche sich als Markthalle nutzen lassen könnten, z.B. die ehemalige Räumen von Charles Vögele, wenngleich die Anlieferung dort eine Riesenherausforderung würde. Aber wer weiss, vielleicht zieht ja die Acrevis (Punkt 21 auf dem Plan) doch irgendwann mal weg…
Am Projekt der Berliner Staab Architekten GmbH gefällt mir die Inneraumaufteilung, die Inseln, die Terrassen, die Pilze, die Materialien und dass es das an sich schöne Uniongebäude wenig beeinträchtigt. Siehe Bericht des Preisgerichts.
Weniger gelungen ist die Fassade. Sie wirkt zu wuchtig. Die unvorteilhafte, unterkühlte Visualisierung verstärkt diesen negativen Effekt noch. Obwohl sich der Haupteingang beim neuen «Bibliotheksplatz» zwischen Union und dem Neubau befindet, wirkt das Gebäude auch zum Marktplatz hin einladend und offen. Andere Projekte haben sich mit geschlossenen Fassaden zum Marktplatz selber aus dem Rennen genommen.
Das benötigte Volumen ergibt grosse Fassaden. Eine wuchtige Fassade kann dem Marktplatz den Raum nehmen, die Weitsicht und auch die Abendsonne. Das ist bedauerlich. St.Gallen hat keine anderen zentralen Plätze dieser Grösse. Wahrscheinlich bewog dieser Umstand drei der Teilnehmenden dazu, die neuen Räume unter die Erde zu verlegen. Auch mir hätte darum eines dieser unterirdischen Projekte mit freiem Platz darüber gefallen. Doch gegen diese sprechen andere Gründe, weshalb Doppeldecker gesamthaft doch die beste Arbeit ist.
«Platz» der ARGE Itten+Brechbühl AG, St.Gallen (3. Rang) mit einem geneigten Platz und darin dem Eingang in die Unterwelt.
«Es werde Licht!» von Flühler Architektur GmbH, jenem Büro, das den Gestaltungswettbewerb für den Marktplatz gewonnen hat. Sie setzen eine Lichtkuppel auf den Blumenmarkt.
Die neuen Bibliothek wirft einen Schatten über den Marktplatz. Auch darum sehe ich eine Art Kompensation im Schibenertorplatz.
Zu Tramzeiten war der Unionplatz ziemlich belebt (1944). Auf der heutigen Parkplatzinsel stand ein Tranhaltestellenpavillon mit Kiosk.
Dieser Platz hat eine passende Grösse, die richtige Form, ist umgeben von schönen Fassaden und er verfügt über einen hohen Baumbestand. Der Schatten dieser Bäumen lädt mehr zum Verweilen darunter ein als jener von grosser Fassaden. Darum plädiere ich einmal mehr für die Reduktion der Fahrbahnfläche.
Rambla oder Piazza statt Parkplätze am Union
Ich favorisiere weiterhin die westliche Seite der Bauminsel, also die Seiten von Seeger und News, als Platz für Cafés und Biergarten freizugeben. Natürlich – und erst recht nach dem Bau der Bibliothek – bietet sich auch die Ostseite an. Der Platz würde sich unter den Arkaden des Uniongebäudes in die Bibliothek fortsetzen. Eigentlich auch ein schöner Gedanke.
Das Projekt «Luis» von einer Berliner Arbeitsgemeinschaft orientierte seine Bibliothek gänzlich zum Schibenertorplatz hin. Sie schreiben dazu: «Vom Bahnhof kommend ist die lange Fassade des. Unionsgebäudes das erste, was der Besucher sieht. Neu ist die Grosszügigkeit des Vorplatzes, der von einer weichen Baumreihe begrenzt wird und dem Altstadtring folgt. Die ebenerdige Arkade des Hauses Union lädt dazu ein, die Ausstellung hinter den Schaufensterfronten zu bewundern. Am
südlichen Ende des Gebäudes stellt eine Fussgängerpassage eine direkte Verbindung zum Marktplatz her. Der Blick durch die Passage offenbart verschiedene Bars und Cafés mit gemütlichen Sitzgelegenheiten.»
Auch die Flühler Architektur GmbH, die Verfasserin des oben erwähnten unterirdischen Vorschlags, erkannten das Potential des Vorplatzes am Oberen Graben. Sie bauen die Strasse wenigstens um eine Spur ab.
Aus meiner Sicht ist der grosse Minuspunkt am neuen Marktplatz die fehlende Freifläche. Zwar ist die Fläche der freigeräumten Marktgasse als Ort für Events gedacht, doch scheinen mir die Einschränkungen wegen der frei zu haltenden Durchfahrt zu gross. Auf dem Schibenertorplatz könnte eine Bühne auch ein paar Tage länger stehen bleiben, ohne zu stören. In meiner Visualisierung (ganz oben) habe ich in die Mitte des Platzes einen Brunnen als Bezugspunkt gesetzt. Es könnte auch ein anderes Wasserspiel sein, vielleicht so gestaltet, dass es bei Veranstaltungen nicht stört oder gedeckt werden könnte.
Wichtig ist, und dies war auch eine Vorgabe im Projektwettbewerb, dass der direkte Weg vom Marktplatz zur Poststrasse offen und sichtbar bleibt. Dies ist im Siegerprojekt gelungen. Denn dies ist die direkteste Route vom Hauptbahnhof zum Marktplatz. Dass diese durch einen unauffälligen Durchgang durch das Unionsgebäude marginalisiert wird, ist ein Fehler der Vergangenheit, den man nicht mehr korrigieren kann.
Viele haben die Pläne für den neuen Marktplatz in ihren Visualisierungen ignoriert, neben dem Siegerprojekt auch die ARGE: Bez + Kock Architekten Generalplaner GmbH und Daniel Cavelti Architektur AG…
… Graber Pulver Architekten AG, Zürich,….
… «Duett» von Bartke Pedrazzini Architetti SNC, Muralto, mit einem kühlen Look…
… oder «Ex Libris» von Buchner Bründler Architekten AG, Basel. Dessen Vorzug ist die Öffnung hin zum Marktplatz.
Gleiches gilt für «Psyches Iatreion» von Andy Senn, Architekt BSA SIA, St.Gallen mit einer äusserst interessanten, filigranen Fassade.
Woher die dschungelmässigen Bäume vor dem «Kubus» von Miebach Oberholzer Architekten GmbH kommen, wäre spannend zu erfahren. Solche könnte ich mir auch andernorts in der Stadt sehr gut vorstellen.
Annette Gigon und Mike Guyer haben die Gesamtsituation des Marktplatzes ziemlich so dargestellt, wie er gebaut werden soll.
Christ & Gantenbein AG, Basel, glauben an einen Bistro- und Strassencafé-Boom runde um den Marktplatz.
Jessenvollenweider Architektur AG aus Basel haben den neuen Marktpavillon in ihre Visualisierung miteinbezogen.
Auch das zweitplatzierte Projekt, «Guy Montag» von E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten ETH BSA SIA AG, Zürich, zeigt den Pavillon. Das mit den Radstreifen auf der Strasse wird aber anders kommen – ein anderes Thema.
Wäre es nur an der Fassaden gelegen, hätten einige der in diesem Artikel erwähnten eher gewinnen können. Oder vielleicht doch ein unterirdisches?
«Octopus's Garden» von der Fawad Kazi Architekt GmbH setzt auf einen markanten Eingang in die Tiefe und einen transparenten Platzbelag.
Übrigens: Dass das Siegerprojekt aus Berlin kommt, wäre auch ohne Öffnen des Couverts leicht erkennbar gewesen. Die Spurbreite der Schienen auf der Visualisierung ist der Berliner Strassenbahn entnommen.
Neue Bibliothek St.Gallen, Bericht des Preisgerichts
Pläne und Visualisierungen von den jeweiligen Planverfassern, Schibenertorplatz (Titelbild): Markus Tofalo