Velos sollte ein entsprechender Platz im Strassenverkehrsnetz eingeräumt werden. So die Wünsche und Forderungen. Dem wird, wenn möglich, durch das Aufmalen von Radstreifen entsprochen – leider aber oft auf Trottoirs. Doch hier lauern Konflikte und Gefahren.
Will man das Velo effektiv fördern, dann verdrängt man es nicht neben die Strasse, sondern setzt es vor sie oder darauf – gibt ihm also im Minimum vollste, echte Gleichberechtigung oder innerorts gar Vorrang.
Weitere Nachteile siehe in diesem Artikel
Von Horn zum Rietli in Goldach führt der Radstreifen auf dem Trottoir entlang der Kantonsstrasse (Hauptrasse 13). Dieser Abschnitt ist Teil des internationalen Bodenseeradwegs. Eine flüssige Fahrt ist nicht möglich: Fussgänger beachten Velofahrende nicht bzw. machen zu spät Platz.
Besonders ärgerlich sind neben den Niveauunterschieden bei Trottoirrampen die Markierungen «Achtung Ausfahrt». Als Velofahrender muss ich nun also bremsen und auf aus einer Hofeinfahrt vorschiessende Autos vorbereitet sein. Dabei habe ich hier doch Vortritt! Abgesehen davon, das Problem besteht unabhängig von besagter Markierung.
«Verläuft ein Radweg in einem Abstand von nicht mehr als 2 m entlang einer Fahrbahn für den Motorfahrzeugverkehr, gelten bei Verzweigungen für die Radfahrer die gleichen Vortrittsregeln wie für die Fahrzeugführer der anliegenden Fahrbahn. Die Motorfahrzeugführer der anliegenden Fahrbahn haben beim Abbiegen den Radfahrern den Vortritt zu gewähren.» So steht es in der Strassenverkehrsordnung (SVO), Artikel 40.
Ergänzend heisst es dazu in Artikel 15: «Wer aus Fabrik-, Hof- oder Garageausfahrten, aus Feldwegen, Radwegen, Parkplätzen, Tankstellen und dergleichen oder über ein Trottoir auf eine Haupt- oder Nebenstrasse fährt, muss den Benützern dieser Strassen den Vortritt gewähren. Ist die Stelle unübersichtlich, so muss der Fahrzeugführer anhalten; wenn nötig, muss er eine Hilfsperson beiziehen, die das Fahrmanöver überwacht.»
«Die Schuldfrage ist bei einem schweren Unfall sekundär und hilft nicht bei der Genesung». Ich geb der Kantonspolizei Thurgau natürlich Recht, wenn sie auf meine Anfrage hin nach der Rechtslage in dieser Situation diese Antwort liefert, nachdem sie mir eigentlich das Vortrittsrecht in dieser Situation zugesteht.
Befriedigend ist diese Antwort nicht, denn die Folgerung daraus ist, dass Velofahrende von Horn nach Rorschach nicht schneller als 15 km/h fahren können. Zwar ermöglicht das Befahren der Strasse eine höhere Geschwindigkeit, doch ist diese verboten, denn: Wenn ein Radweg vorhanden ist, besteht Benützunsgpflicht. Dass dies hier so ist, bestätigt mir ebenfalls die Kapo Thurgau. Man riskiert sonst eine Busse von 30 Franken.
Auf der MIV-Fahrbahn geniesse ich als Velofahrender eine Fahrt ohne Bremsung. Mein Vortritt ist unbestritten.
(Foto: Google Streetview, Arbon)
Auf mein Klagen bezüglich dieser Benützunsgpflicht von Velospuren in der Stadt St.Gallen (in diesem Artikel), kam vom Tiefbauamt der Stadt St.Gallen die Präzisierung, dass diese nur gilt, wenn der Radweg mit dem entsprechenden Tafel signalisiert ist. (Artikel 33 der Signalisationsverordnung). Sie würden aus Rücksicht auf die «Hasen», wie schnelle Velofahrende im städtischen Velokonzept genannt werden, diese Tafel nicht aufstellen. Eine kleine Feinheit also. Hinweise, dass die Benützung von lediglich mit gelben Streifen oder Pfeilen markierten Spuren auf Trottoirs fakultativ ist, kann ich in den Verordnungen allerdings nicht finden.
In Horn steht das blaue Signal – allerdings nur in Richtung Rorschach. In der Gegenrichtung, beim Bahnübergang Rietli, fehlt diese Signalisation. Gemäss Tiefbauamt St.Gallen dürfte ich hier nun die Strasse benützen. Folglich: Die Regelung ist unklar und widersprüchlich.
Signale, wie es sie – ausser vielleicht auf wenig von Fussverkehr frequentierten und übersichtlichen Abschnitten ausserorts – sollte es nicht geben: «2.63 Rad- und Fussweg mit getrennten Verkehrsflächen» und – noch schlimmer – «2.63.1 Gemeinsamer Rad- und Fussweg».
Bei Platzmangel können Radwege auf Trottoirs sinnvoll sein, wenn es um die Sicherheit von Kindern geht. Der Bodenseeradweg wird oft und von vielen Familien befahren, auch von ungeübten Radtouristen. Hier Sicherheit zu bieten ist wichtig und richtig, aber: Lasst für Schnellfahrende das Befahren der Strasse zu, auch zum Wohl der Fussgänger und Langsam fahrenden.
Sämtliche Strassen, ausser Autobahnen und Autostrassen natürlich, sind für Velofahrende frei befahrbar. Abgetrennte Radwege und insbesondere Radstreifen auf Trottoirs dienen der Sicherheit für jene, welche diese suchen. Eine Benützungspflicht besteht nicht.
Diese Forderung stelle ich vor allem im Innerortsverkehr, wo die flüssige Fahrt auf abgetrennten Velospuren und -wegen stärker durch Querverkehr, Querversätze und Nichtbeachtung durch Dritte gestört wird. Ein Nachteil separierter Velowege zeigt sich die in der aufwendigen Knotengestaltung, was für alle Beteiligten durch längere Rotphasen bei Lichtsignalen resultiert.
Velobahnen wäre das Ziel. Doch weil dieses aus Kostengründen kompromisslos nicht möglich sein wird, oder dessen Realisierung in weiter Ferne liegt ist für geübte Velofahrende die Strasse die einzige Alternative.
Geschwindigkeiten von Velofahrenden werden oft unterschätzt, von Autofahrenden wie auch von Planern. Anders lassen sich Trottoirradwege nicht erklären.
Dass von Horn nach Rorschach nicht durchgehend gefahren werden kann, was möglich ist (bzw. die max. Höchstgeschwindigkeit, wie sie für Autos gilt), ist diskriminierend für Velofahrende. Für Velos gelten die gleiche Limiten, wie für Autos, also 80 km/h ausserorts und 50 innerorts. Das ist natürlich hypothetisch, aber rechtsgültig.
Der Hinweis, auf Sicht zu fahren (wie ihn mir die Kapo TG gibt), bedeutet 15 km/h oder noch langsamer zu sein. Schliesslich muss bei jeder Einmündung gebremst werden können, falls nötig. Mit dieser Einschränkung verliert das Velo massiv an Attraktivität, fahren doch die meisten ca. 20 km/h. Auch ohne Motor sind 30 km/h ohne weiteres möglich. Würden im MIV gleiche Massstäbe angewendet, würden Sträucher bei Hofeinfahrten auch nicht zurückgeschnitten und stattdessen «Achtung Ausfahrt» auf die Strasse gemalt, ein Aufschrei ginge durch die Autowelt.
Die Situation in Horn zeigt beispielhaft den Stellenwert von Velos in den Köpfen der Planenden. Reichen am Schluss Geld und Platz, werden Velos berücksichtigt. Natürlich kommt komfortables Vorwärtskommen nach der Sicherheit. Unter dem Aspekt der Sicherheit könnte man aber auch beim MIV ansetzen... Während man bei der Planung von Strassen für Autos davon ausgeht, das alle Benützenden die Regeln kennen, muss beim Velo «Laienverkehr» eingeplant werden. Doch müssen deswegen Routinierte darunter leiden?
Wie stiefmütterlich das Velo auch in St.Gallen angesehen wird, zeigt dieses Beispiel dreier quer zur Fahrbahn eingesetzten «dekorativer» Randsteine in der Vadianstrasse (links im Bild, rechts ein Beispiel, wie es besser sein könnte). Welche Absicht war damit wohl verbunden? Autos zu bremsen? Die gut gefederten SUVs bemerken diese kleine Unebenheit kaum. Mit ungefederten Velos hingegen muss langsam und materialschonend gefahren werden – und das auf einer definierten Veloschnellroute – *kopfschüttel*.
Ein weiteres Beispiel ist in der Oberen Weid zu finden. Für viel Geld wurde der Radweg auf das Trottoir verlegt, auf wenigen Metern. Unschön ist, dass genau in diesem Abschnitt eine Bushaltestelle liegt. Wie wenig man sich in Velofahrende versetzt zeigt aber der Umstand gleich danach. Ein signalisierter Linksabbieger auf eine empfohlene Veloroute (die roten Wegweiser) hat nicht nur keine Abbiegehilfe auf der Hauptstrasse, es fehlt gar die Rampe vom Trottoir runter auf die Strasse!
Ich schliesse mich nicht den Rufen nach einem Umbau bestehender Strassen oder der Reduktion der MIV-Fläche zugunsten von Velowegen an. Dafür fehlt in St.Gallen tatsächlich der Platz. Ich verlange aber – ich wiederhole mich – das Recht, überall auf der Strasse fahren zu dürfen.
Absurd: Velofahrende werden von der Strasse "weg befreit" und dann auf dem Troittoir durch Schikanen zur Langsamfahrt gezwungen, Gesehen in Melano am Lago di Lugano. Wer vorwärtskommen möchte, boykottiert solche Umwege.
Absurd II: Ohne Kommentar, gesehen in Arbon, Stickereistrasse
«Die gängige Praxis der Verkehrsbehörden, die Velofahrer durch das Rad-/Fusswegwegsignal nicht nur dazu zu berechtigen, sondern sogar dazu zu verpflichten, das Trottoir zu benutzen, vermag sich nicht auf Art. 33 Abs. 4 SSV abzustürzen und widerspricht Art. 43 Abs. 2 SVG; sie ist also verordnungs‐ und insbesondere gesetzeswidrig,» aus einem «Velos-auf-dem-Trottoir»-Rechtsgutachten zuhanden der Stadt Zürich, erstattet von: Prof. Dr. iur. Alain Griffel, Ordentlicher Professor für Staats‐ und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Raumplanungs‐, Bau‐ und Umweltrecht an der Universität Zürich.
Aktualisiert am 1.2.2021:
Am Lago Maggiore hat man es erkannt: Es gibt schnelle und langsame Velofahrende. Der Fussverkehr ist vor den schnellen Velofahrenden zu schützen und diesen ist ein ihren Möglichkeiten entsprechender Weg zu bieten. Das kann auch eine Hauptstrasse sein. Eine blaue Tafel, also eine Benützungspflicht, gibt es hier nicht.
Rechtsgutachten von: Prof. Dr. iur. Alain Griffel
Fussgänger fühlen sich gefährdet, Artikel in "Der Beobachter"
Welches ist der ideale Veloweg?