Für Rorschach ist ein mittlerer Autobahnanschluss vorgesehen. Dieser soll vor allem Goldach entlasten. Dort staut sich täglich der Pendlerverkehr von St.Gallen. Ist dieses, mindestens 315 Mio. Franken teure Bauvorhaben wirklich zielführend?
Der neue Autobahnanschluss mit dem Arbeitstitel «Witen» oder neu "Autobahnanschluss Plus" darf nicht isoliert betrachtet werden. Er ist Teil des Systems Strassenverkehr. Ausbauten an diesem System stärken dieses als Gesamtes, steigern das Angebot und fördern so die Nachfrage, welche wiederum im öffentlichen Verkehr nachlässt und dort zu einer Angebotsreduktion führen kann. Diese Politik ist vor dem Hintergrund des Klimawandels völlig falsch.
Aktuell befinden sich drei grosse Autobahnprojekte im Raum St.Gallen in der Pipeline (hellgrün):
Zubringer Güterbahnhof mit Liebeggtunnel, St.Gallen
Das Betondenken des letzten Jahrhunderts hat noch kein Ende gefunden. Noch immer herrscht der Glaube vor, Engpässe mit Ausbauten bekämpfen zu können. Vordergründig kann dies zu einer Entlastung führen, wenn es sich tatsächlich um einen Engpass handelt. Im vorliegenden Fall sind es aber Ausbauten, welche den Zu- und Abfluss auf die A1 durch St.Gallen verstärken. Somit handelt es sich um eine Kapazitätserweiterung, welche gar den Ausbau des Rosenbergtunnels egalisieren könnte. Das nächste Nadelöhr könnte dann die Sitterbrücke sein.
Ich kann diese These nicht mit Zahlen untermauern, würde mich aber freuen, wenn sich jemand dieser Arbeit annehmen könnte.
Warum? Pendler aus der Region Rorschach – Goldach, aus dem Appenzeller Hinterland und Herisau sowie auch aus Teufen, welche aktuell öffentliche Verkehrsmittel wählen, könnten nach dem Bau der neuen Zubringer das Auto als schnellere und bequemere Lösung für ihren Arbeitsweg wählen. Die Absicht, aktuelle Stausituationen während der Rushhour zu beseitigen, wird sich als Motor für den Anstieg den motorisierten Individualverkehrs in der gesamten Region erweisen mit dem Nebeneffekt, dass Druck für den gewünschten Ausbau des öffentlichen Verkehrs genommen wird.
Der Abendstau vor Goldach ist Tatsache. Als stautreibend erkenne ich die Lichtsignalanlage der Kreuzung St.Gallerstrasse – Bruggmühlestrasse in Goldach. Alleine schon eine Rechtsabbiegespur könnte hier etwas Abhilfe schaffen.
Zurzeit ist in Goldach eine Zentrumsumfahrung mit Bahnunterführung im Bau (unten gelb). Die Verkehrsbeziehung St.Gallen – Rorschacherberg wird um ein grosses Hindernis weniger.
Denken wir weiter. Eine direkte Verbindung von der Bruggmühle zu dieser neuen Strasse (orange Varianten) würde den ganzen Verkehr nach Goldach und Rorschacherberg frühzeitig abnehmen und die besagte Kreuzung entlasten. Kombiniert mit einem kreuzungsfreien Anschluss im Bereich Bruggmühle – nicht schön, kostet auch Land, wäre aber deutlich landschaftsschonender als der aktuell geplante Anschluss.
In der Stadt St.Gallen steht die Forderung einer S-Bahn im 15min-Takt im Raum. Ich würde diese Frequenz bis Rorschach ausdehnen.
15min-Takt für die S-Bahn St.Gallen
Gewerbe, Industrie, Standalone-Supermärkte und Fachmärkte suche die Nähe von Autobahnanschlüssen. Möge das Land im Bereich des neuen Zubringers zurzeit noch Landwirtschaftsland sein und somit vor einer Überbauung geschützt sein – der Druck für eine Umzonung wird steigen, zumal im ganzen Raum Rorschach-Goldach keine ähnlich strassenverkehrstechnisch gut erschlossenen Flächen existieren.
Der Zubringer in einer aktuellen Darstellung...
... könnte dereinst mitten in einem Industrie-, Gewerbe- und Fachmarktgebiet liegen. Zugegeben – etwas schwarz gemalt, aber nicht gänzlich unrealistisch.
(Grafik: Markus Tofalo, Basisbild: Kanton St.Gallen)
Unbesehen, ob auf Strasse oder Schiene, Arbeitswege werden in Zeit, nicht in Kilometer gemessen. Wenn also 45 Minuten eine Schmerzgrenze darstellt, so wird mit jeder neuen S-Bahn – und jeder neuen Strasse – die Distanz, die in diesen 45 Minuten erreichbar ist, weiter. Das Ergebnis ist eine Stärkung der ohnehin grossen und an Verkehr leidenden Zentren und eine Verarmung der Gemeinden ausserhalb dieser. Profiteur ist St.Gallen, Rorschach wird seine Regionalzentrumsfuntkion weiter verlieren, bis es – etwas zugespitzt – zur reinen Schlaftstadt wird. Nationale und internationale Ketten brauchen sich in Rorschach nicht mehr niederzulassen, St.Gallen ist ja erreichbar.
In der Titelskizze (ganz oben) habe ich einen Autobahnanschluss in Dreiecksform dargestellt. Geplant ist tatsächlich ein Anschluss mit Holländerrampen mit einer Lichtsignalanlage (LSA).
Der Entscheid fiel für die LSA, weil man verhindern will, dass sich der ausfahrende Verkehr von St.Gallen an der Kreuzung mit dem einfahrenden Verkehr Richtung St.Margrethen bis auf die Autobahn zurückstaut. Auch die anderen beiden Rampen enden mit Lichtsignalen bei ihren Einmündungen in die Zubringerstrasse. Sollte hier dereinst die gleiche Verkehrsmenge fliessen, wie aktuell von Meggenhus nach Goldach, sehe ich schwarz. Offenbar tun dies die Planer nicht, denn auch der Knoten Sulz wird als LSA-Kreuzung ausgeführt. Ich hätte einen Kreisel erwartet.
Diese Anschlussform mit parallelen Rampen wurde aus Platzspargründen gewählt und weil sich der besteheden Parkplatz besser anbinden lässt. Auch dieser wird übrigens durch die Kreuzung mit der LSA fliessen – ein wahrscheinlich eurpaweites Unikum für eine Autobahnraststätte. Noch vor wenigen Jahre wäre fast sicher eine Trompete oder ein Dreieck erstellt worden, welche den Verkehr kreuzungsfrei in alle Richtungen durchlassen.
Eine weitere Betrachtung der Zubringerstrasse Richtung See habe ich mir erspart. Obwohl teilweise aufwendig eingehaust wird, nehme ich diese Verbindung als siedlungsteilend wahr.
Warum wird in Visualisierungen von Abstimmungsbotschaften über Strassenprojekte eigentlich nie realistisches Verkehrsaufkommen eingesetzt? Dieses Bild scheint die Situation an einem Sonntagmorgen abzubilden. Velofahrende gibt es natürlich keine. Oder werden sie auf hindernisreiche Quartierstrassenradwege verbannt?
Velomassnahmen im Strassenverkehr
Anstatt eine zweite Magistrale zu bauen, könnte man die erste, die St.Gallerstrasse durch Goldach, mit gleichem Aufwand teilweise tieflegen. Untergoldach käme so zu einem autofreien Dorfplatz bei der Linde. Nicht dass ich dafür der Motor sein will, aber so werden wenigstens keine zusätzeliche Quartiere belastet. Denn auch nach einer Reduktion von 18'000 auf die progostizierten 12'000 Fahrzeuge wird es in Goldach laut bleiben. Von einer merklichen Entlastung kann keine Rede sein.
Der motorisierte Individualverkehr sollte nicht gegen den öffentlichen Verkehr ausgespielt werden, heisst es immer. Vielmehr sei ein gesundes Nebeneinander zuzulassen, in welchem beide ihre Vorteile ausspielen können. Tatsächlich ist es aber so, dass das Auto stets bevorzugt würde, wenn sich die Option dazu bietet, denn die gefühlten Vorteile liegen auf der Hand: zeitliche und örtliche Unabhängigkeit – an fehlende Parkplätze und Staus wird erst zweitrangig gedacht und die vermeintlich tieferen Kosten. Ist nämlich die «Grundgebühr», also Anschaffung, Versicherung und Unterhalt bezahlt, wird in der Alltagsrechnung lediglich der Benzinpreis mit dem Ticketpreis im ÖV verglichen. Ähnlich einem Flatrateabo ist der Preis einer Autofahrt günstiger, je mehr Kilometer damit gefahren werden – ein klassischer Fehlanreiz, welchem nur mit einem echten Roadpricingmodell entgegnet werden kann.
Nachtrag 13.11.2019
Vorausgesetzt, man will einen dritten Autobahnanschluss, rückstaubildende Lichtsignale sind nicht das einzige Problem dieser Vorlage. Trotz Tunnel wird viel Land zerstört, für die einen ein wünderschönes Grün, für andere eine künftige bevorzugte Wohnlage (Richtpläne lassen sich ändern). Nach der Realisierung des Anschlusses ist beides verbaut.
Auch das Bundesamt für Strassen (Astra) äusserte nach dem Variantenentscheid die Kritik, dass es sich beim Anschluss «Witen» nicht um die Bestvariante handle. Aufgrund der Beurteilung zeigte sich, dass die «Variante 2 (Sulzberg)» am besten abschneidet. Dass man sich trotzdem für «Witen» entschied lag daran, dass man damit auch eine Entlastung der Ortsdurchfahrt Goldach erreichen könnte. Die mittlerweile in Bau befindliche Zentrumsumfahren Mühlegut in Goldach war damals offensichtlich noch kein Thema.
Eine Neubeurteilung würde nun wohl noch klarer der Variante Sulzberg den Vorzug geben. Diese wird hinter vorgehaltener Hand auch von gewerbetreibenden in Goldach bevorzugt. Goldach ist mit dieser Variante klar Verlierer. Auf Druck der geschickten, verhandlungsstarken Rorschacher Verhandlungsführung wurde, entgegen der technischen Erkenntnisse,
die Variante Witen durchgedrückt. Die damaligen Goldacher Verhandler wollten oder konnten ihre Interessen nicht durchsetzten. Man opfert viel Land für wenig Verkehrsentlastung und profitiert kaum von kürzeren Wegen.
Ich staune darüber, dass man die Wirkung der beiden Bahnunterführungen in Goldach und Rorschach nicht wenigstens abwartet, bevor man eine Entscheidung mit derartiger Tragweite fällt.
Und was nicht vergessen werden darf: Dieser Anschluss wird im Moment von dessen Berfüwortern als Allerheilsmittel, mit welchem sämtliche Probleme Rorschachs gelöst werden, gesehen und verkauft. Man wird sich wohl täuschen.
Strassenbauwahn im Kanton St.Gallen: Das 17. Strassenbauprogramm
Nein zum 3. Autobahnanschluss Rorschach
Grafiken: Markus Tofalo, Basis: Kanton St.Gallen und Swisstopo)