Seit dem 7.3.2019 liegt eine überarbeitete, abgespeckte Projektstudie des Astra für die «Engpassbeseitigung St.Gallen» mit dem Zubringer Güterbahnhof und dem Liebeggtunnel (zuvor "Teilspange" genannt) vor, das man nun weiter vorantreiben möchte. Auch ein grober Finanzierungsplan wurde vorgestellt. Diese beiden Punkte haben die Ausgangslage seit 2014 massiv verändert. Die Planungsleiche wird nun beatmet.
7 Gründe, die dagegen sprechen
Der Bund hat 1.144 Mia CHF für die Engapssbeseitigung St.Gallen gesprochen, massiv mehr, als sich die Befürworter je hätten erträumen können. Zu Verdanken ist dieser Geldsegen dem Ja des Schweizervolks zum NAF (Fonds für die Nationalstrassen und den Agglomerationsverkehr) vom 12.2.2017. Dass der Bund soviel hierfür ausgeben würde, war nicht voraussehbar.
Das Projekt Zubringer Güterbahnhof und Liebeggtunnel (Teilspange) wurde massiv abgespeckt, was Einsparungen von 400 bis 500 Mio. CHF zur Folge hat.
Konnte die Teilspange 2014 auf auf 1.2 Mia. CHF geschätzt werden, so werden deren Kosten 2019 auf 800 Mio. beziffert, wenn die 2014 veranschlagten 530 Mio. CHF für die 3. Röhre des Rosenbergtunnels weiterhin gültig sind.
Das gesamte Projekt Engpassbeseitigung inklusive Zubringer Güterbahnhof und Liebeggtunnel wurde günstiger bei gleichzeitig höherem Bundesbeitrag.
Mit 800 Mio. Franken ist der Zubringer Güterbahnhof zusammen mit dem Liebeggtunnel immer noch viel zu teuer, wenn man bedenkt, dass die fast 40 km lange Bodensee-Thurtalstrasse von der A7-Verzweigung Grüneck bis Arbon für 1300 Mio. Franken budgetiert ist, inklusive Anschlussbauwerken und Ottenbergtunnel.
Die Teilspange wird, so wie sie am 7.11.2014 vorgestellt wurde, nicht gebaut. Das war voraussehbar.
Doch auch die neue Version hat Haken.
Die damals beschriebenen 7 Gründen sind zwar entschärft worden, haben aber immer noch ihre Berechtigung.
Diese schwelt bisher erst, wird aber bei Bewusstsein des Verlustes sicher wachsen. Neben dem ästhetischen sprechen auch kulturhistorische Gründe gegen einen Abbruch. Wenn man sieht, wie kreativ die alten Güterumschlaghallen genutzt werden – Beispiele finden sich auch in Güterbahnhöfen anderer Städte – so würde vieles für den kompletten Erhalt des Güterbahnhofgebäudes sprechen.
Dieses kulturhistorische Gebäude lässt sich ohne Weiteres in eine Arelaüberbauung integrieren, wie diese Visualisierung des 2007 an der Urne abgelehnten Projekts zeigt.
Zudem liesse sich das Gebäude ideal als City-Logistik-Hub nutzen
Daran hat sich nichts geändert. Der Zubringer Güterbahnhof dient Verkehrsbeziehungen von und nach Westen. Der Verkehr Richtung Osten wird weiterhin über den bestehenden Anschluss Kreuzbleiche, durch den Schorentunnel und über die St.Leonhardbrücke geführt werden!
Dieser Punkt wurde leicht entschärft. Die Distanz für Verflechtungen zwischen Rosenbergtunnelportal und Sitterviadukt ist zu kurz. Dies ist auch der Grund, warum vom neuen Feldlitunnel keine Ein- und Ausfahrten von und nach St.Margrethen möglich sind.
2014: Aus 7 Spuren werden innert 1.6 km deren 3.
2019: Nun gilt es "nur" noch, 6 Spuren auf 3 zu reduzieren.
Natürlich liefern nicht alle Spuren die gleiche Verkehrsmenge, dass diese Spurreduktion zum Problem werden könnte, ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Verflechtungsstress ist jedenfalls angesagt.
Daran hat sich nichts geändert. Man rechnet mit einer Eröffnung nicht vor 2040.
Neu wird seitens des Astra und der Kantone davon gesprochen, dass beide Bauvorhaben «notwendig» sind. Tatsächlich kann die A25, wie der Zubringer Appenzellerland bzw. die Umfahrung Herisau im Nationalstrassennetz nummeriert wird, auch für die Stadt St.Gallen eine merkliche Entlastung bringen.
Die Appenzeller sind angehalten, durch Lobbyarbeit ihre A25 in Bern zu forcieren, denn gleichzeitig kann das Astra wohl nicht beide Vorhaben realisieren.
Dieser Punkt ist einleuchtend. Zubringer und dritte Röhre bilden zusammen die «Engpassbeseitigung St.Gallen». Gegen die 3. Röhre ist die Opposition zwar kleiner, es gibt aber trotzdem Schwierigkeiten, die es vor einem Baubeginn zu beseitigen gilt.
Als Killer-Argument hält dieser Punkt nicht mehr. Die Annahme der NAF-Vorlage durch das Volk am 12.2.2017 hat mehr Bundesgelder für den Strassenbau zweckgebunden. Darum konnte der Bund seinen Beitrag massiv erhöhen. Gleichzeitig wurde das Projekt abgespeckt. Dadurch wird das Ganze nun die Region günstiger.
Ein Tunnel unter der Talsohle durch dessen ganze Breite könnte als Grundwasserstaumauer wirken. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass man sich dieses und ähnlicher Probleme bewusst ist.
Interessant ist die Beantwortung der Frage, wohin mit dem Aushub und Ausbruchmaterial. Bekanntlich bewegt sich die Region St.Gallen auch ohne Tunnels auf ein Deponieproblem zu.
Die hier 7 genannten Gründe, gelten auch noch für dieses abgespeckte Projekt, jedoch nicht mehr in einem Ausmass, dass die Realisierung gänzlich unwahrscheinlich ist. In Frage, kann sie aber trotzdem gestellt werden.
Der Zubringer Güterbahnhof und auch die 3. Rosenberg-Röhre sind Folgen der verfehlten St.Galler Verkehrs- und Siedlungspolitik. Die heutige Belastung der Stadtautobahn wird zu 85% vom innerstädtischen Verkehr verursacht. Das heisst: Der Ausgangs- und der Zielort dieser Fahrten liegen auf Stadtgebiet! Diese Fahrten lassen sich teilweise auf den ÖV, den Fuss- und Veloverkehr umlagern.
Für die Teufener Strasse wird nur von einer Reduktion um 50% ausgegangen. Busse fahren dort weiterhin. Eine Wohnstrasse wird sie somit nicht.
Die A25, die Umfahrung Herisau, wird einen grossen Teil des Verkehrs aus den Appenzeller Kantonen Richtung Zürich auf die A1 bringen. Diese Strasse wird 2020 ins Nationalstrassennetz aufgenommen.
Der Zubringer Güterbahnhof und der Liebeggtunnel dienen vor allem Teufen.
Für Ziele Richtung Osten bringt der Zubringer Güterbahnhof nichts, weil die Anbindung nur Richtung Westen ausgerichtet ist. Zudem sind für diese Fahrtrichtung die Anschlüsse St.Gallen-St.Fiden und -Neudorf via Speicher eine Alternative, die kaum mehr Fahrzeit beansprucht. Für Appenzell und Gais liegt das Rheintal via Stoss näher.
Quelle ist die Fahrzeitenabfrage mit Google Maps:
via St.Gallen-Kreuzbleiche | via Herisau mit A25 | via Altstätten | noch schnellere Variante | ||
Appenzell | Wil | 40 | 31 | > | |
Bühler | Wil | 33 | 39 | > | |
Gais | Wil | 36 | 39 | > | |
Gonten | Wil | 48 | 32 | > | |
Haslen | Wil | 33 | 29 | > | |
Hundwil | Wil | 36 | 23 | > | |
Meistersrüti | Wil | 42 | 40 | > | |
Niederteufen | Wil | 28 | 32 | > | |
Speicher | Wil | 36 | 40 | > | Neudorf 33 |
Stein | Wil | 30 | 27 | > | |
Steinegg-Rüte | Wil | 42 | 35 | > | |
Teufen | Wil | 30 | 33 | > | |
Appenzell | St.Margrethen | 41 | > | 38 | |
Bühler | St.Margrethen | 34 | > | 35 | Heiden 33 |
Gais | St.Margrethen | 38 | > | 31 | |
Gonten | St.Margrethen | 50 | 38 | 44 | |
Haslen | St.Margrethen | 34 | > | 43 | |
Hundwil | St.Margrethen | 35 | 29 | 51 | |
Meistersrüti | St.Margrethen | 44 | > | 39 | Heiden 43 |
Niederteufen | St.Margrethen | 30 | > | 43 | |
Speicher | St.Margrethen | 27 | > | 51 | Heiden 30 |
Stein | St.Margrethen | 31 | > | 44 | |
Steinegg-Rüte | St.Margrethen | 43 | > | 36 | |
Teufen | St.Margrethen | 31 | > | 40 | Speicher 32 |
Ist es sinnvoll, durch den Bau einer attraktiven Verbindung mehr Verkehr durch St.Gallen zu führen und so einen Engpass Sitterviadukt zu provozieren?
Der Feldlitunnel, also die Verbindung von der A1 zum Güterbahnhof, wurde auf je 1 Spur pro Fahrtrichtung plus Pannenstreifen abgespeckt. Neben den Kosteneinsparungen lindert dies die Staugefahr vor dem Sittenviadukt ein wenig.
Der Liebeggtunnel wird nur einröhrig ausgeführt. 2014 sprach man noch von 2 Röhren mit 2 Spuren bergwärts und einer talwärts.
Die grösste Kosteneinsparung ist die Ausbildung des unterirdischen Kreisels Güterbahnhof. Während heute von einem einfachen Kreisel die Rede ist, war im Plan von 2014 neben einem 2-spurigen Kreisel noch ein Flyunder, also direkte Spuren unter dem Kreisel hindurch für Geradeausfahrende, eingezeichnet.
Einfacher Kreisel. Weil das Astra damals unterirdische Einmündungen aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen hat, mussten die aus dem Kreisel in die Tunnels mündenden Spuren bis zum jeweiligen Tunnelausgang geführt werden, was logischerweise den Bau von je 2 Röhren mit je 2 Spuren bedingte.
Folien aus der Präsentation von 2014
8.2.4 Verzweigungen im Tunnel
8.2.4.1 Einmündungen und Gabelungen werden als Verzweigungen bezeichnet
8.2.4.2 Verzweigungen innerhalb eines Tunnels sollen wenn möglich vermieden werden
8.2.4.3 Die Einmündung in einem Tunnel ist so zu gestalten, dass eine Fahrstreifenaddition entsteht
8.2.5 Verkehrsknoten im Portalbereich
8.2.5.1 Im Portalbereich sind wenn möglich keine Knoten vorzusehen
8.2.5.2 Wenn ein Knoten erforderlich ist, muss nachgewiesen werden, dass bei der Einfahrt in den Knoten kein Rückstau entsteht, der bis in den Tunnel reicht.
Was hat sich im Verhalten von Autofahrerinnen und -fahrern inzwischen geändert, dass unterirdische Einmündungen nun kein Sicherheitsrisiko mehr darstellen und die SIA-Norm nicht mehr zur Anwendung kommen soll?
Warum ist die Staubildung in einem Tunnel plötzlich kein Problem mehr?
Kann die vorliegende Kostenschätzung aufgrund dieser entscheidenden Frage einem auf dieser Skizze basierenden Vorprojekt und schliesslich einem Ausführungsprojekt standhalten?
Die Unterlagen zum Projekt von 2014 wurden inzwischen vom Netz genommen.
Der Bund zahlt 1.144 Mia. CHF für die 3. Röhre Rosenberg und für den Zubringer Güterbahnhof mit dem unterirdischen Kreisel und dem Ausgang zur Geltenwilenstrasse. Die Finanzierung des Liebeggtunnels und verbleibt der Region.
Angedacht ist ein Kostenanteil von 150 bis 200 Mio. CHF "für die Region". Zwischen den Kantonen St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden wird "im Territorialprinzip" aufgeteilt. Wörtlich genommen, zahlt AR jenen Teil, der auf seinem Gebiet liegt. Appenzell Ausserrhoden kommt also ziemlich günstig weg. Innerrhoden zahlt gar nichts, obwohl Schlatt-Haslen massgeblich davon profitieren wird.
Die Kantonsgrenze in die Folie der Präsentation von 2014 eingetragen. Der Tunnel liegt gänzlich auf St.Galler Land. Ausserrhoden hätte also nur die Hälfte der Brücke über den Wattbach zu tragen plus die Kreuzung.
Der Bund hat seinen Beitrag gesprochen.
Auch der St.Galler Kantonsrat hat mit der Annahme des 17. Strassenbauprogramms im Herbst 2018 ja zu seiner Beteiligung gesagt. Und falls er nochmals gefragt wird ist kaum ein anderes Resultat zu erwarten.
Ein Kostenteiler zwischen Kanton und Stadt St.Gallen wurde noch nicht veröffentlicht. Durchaus vorstellbar ist, dass der Kostenanteil der Stadt St.Gallen bewusst tief gehalten wird. Im Kanton ist man sich der Gefahr eines Neins der kritischen städtischen Bevölkerung nach der Ablehnung der Mobilitätsinitiative durchaus bewusst. Wird auch der tiefe Kostenateil abgelehnt, können der Westausgang der unterirdischen Kreisels Richtung Oberstrasse sowie die flankerenden Massnahmen auf dem untergeordneten Strassennetz (Teufener Strasse) weggespart werden. Als Stadt-St.Galler muss man vor diesem Hintergrund einer Vorlage fast zustimmen – ein schlauer Schachzug.
Aktuelle Erhebungen zeigen, dass die jährliche Verkehrszunahme gebremst ist. Auf Stadtgebiet nimmt der motorisierte Individualverkehr gar ab. Die für dieses Projekt zugrundelegenden Prognosen können somit angezweifelt werden. Spitzenzeiten können mittels Mobility Pricing gebrochen werden.
Eine weitere Verkehrsreduktion liesse sich mit Parkhäusern in der Nähe von Autobahnanschlüssen erreichen, welche an das S-Bahn-Netz angeschlossen sind. Eine S-Bahn im 15-Minuten-Takt würde die Verkehrsmenge ohnehin reduzieren. Selbst die Anfahrt zu einer Park-and-Ride-Anlage mit dem Auto würde sich bei einem ausgebauten ÖV-Netz erübrigen. Städte wie Basel, Bern, Lausanne oder Zürich weisen deswegen deutliche tiefere Anteile an MIV aus gegenüber St.Gallen.
Auslöser für die Idee dieses Zubringers ist gemäss Astra die mangelnde Kapazität der Kreuzung St.Leonhard-Kreuzbleiche und ein möglicher Rückstau bis in die Autobahn. Folglich sollte der Durchlass dieser Kreuzung erhöht werden. Die Grünliberalen Stadt St.Gallen haben bereits 2013 einen Kreisel und damit verbunden einen Bustunnel vom Hauptbahnhof bis zur Zürcherstrasse vorgeschlagen.
Die Idee wurde später weiterentwickelt, indem auch der Velo- und Fussverkehr (Langsamverkehr) auf eine separate Ebene gelegt wurde. Diese Entflechtung führt zu wesentlich weniger Rotphasen, was den Durchlass der Kreuzung massiv erhöhen würde. Die Kosten kämen kaum über 80 Millionen Franken zu stehen. Der ÖV-Tunnel alleine wurde von der Stadt einmal mit 50 Millionen geschätzt.
Mehr über die Idee dieser Kreuzung
Auch bei den Geldern aus dem NAF handelt es sich um Steuerfranken. Sinnvoll eingesetzt sind sie hier nicht. Investiert in eine funktionierende S(tadt)-Bahn und in eine Entflechtung des ÖV vom MIV an neuralgischen Stellen, kämen sie sicher auch jenem Autoverkehr zugute, der sich nicht umlagern lässt, was wiederum der Zweckbestimmung des NAF entsprechen würde.
Siebzigerjahredenken in der St.Galler Verkehrspolitik
So könnte die Baustelle im Güterbahnhofareal aussehen. Falls der Tunnelbau aufgrund des Untergrunds nicht bergmännisch möglich sein wird, werden wohl auch Häuser weichen müssen. (Basis: Google Earth)