Mehr Grün. Weniger Versiegelung. Mehr Strasse für alle. «Grünes Gallustal», der Klimabericht zur Hitzeminderung der Stadt St.Gallen, die Biodiversitätsstrategie, Tempo 30 und schliesslich auch die Ziele betreffend Förderung des Veloverkehrs geben es vor: Im Strassenbau braucht es ein Umdenken.
Haupt- und Verbindungsstrassen
Irrwege und Fehlentwicklungen der letzten Jahre
Überbreiten sind zu vermeiden. Sie laden zu höheren Tempi ein. Einzelnen Spuren, Buspuren und Radstreifen sind nicht breiter zu bauen, als es die Nomen vorgeben. Dies gilt sowohl für Hauptachsen, wie die Zürcher Strasse in St.Gallen-Bruggen (Bild), als auch auch für Sammelstrassen.
Die Fahrbahn der Hauptstrasse im Zentrum vom Horn TG wurde auf einer Länge von ca. 200m auf die notwendige Minimalbreite von 6.30m zurückgebaut zugunsten breiterer Trottoirs und einer Allee. Diese Massnahme wertet das Dorfzentrum auf. Bemerkenswert ist, dass auf Radstreifen verzichtet wird, obwohl hier der internationale Bodenseeradweg durchführt. Velofahrende können somit kaum überholt werden, was das allgemeine Tempo auch ohne Signalisation drosselt.
Horn, zum Vergleich: Links Zentrumsbereich ohne Radstreifen, dafür breiterer Trottoirs und Allee, rechts schmale Trottoirs, dafür mit Radstreifen.Hier ist auch der grosse Flächenbedarf von Fussgängerschutzinseln ersichtlich, obwohl auf zusätzliche Fahrbahnbreite für einen Radstreifen verzichtet wurde.
Positiv ist auch die breite Trottoirsüberfahrt der Bahnhofstrasse. Deren Ausbau hätte auch ohne Trottoirs erfolgen können. Doch fährt hier ein Linienbus durch. (Bild Swisstopo)
Kurvenradien müssen der gefahrenen Geschwindigkeit angepasst werden, d.h., sie brauchen nicht, wie dies oft geschieht, auf über 60 km/h ausgelegt zu werden. Die Mühlegutstrasse in Goldach, die neue Zentrumsumfahrung, ist ein gutes Beispiel, wie sich mit einer entsprechenden Geometrie ein Tieftemporegime auch ohne Signalisation erreichen lässt.
Lädt zu mehr als 30 km/h ein, die Bernhardswiesstrasse St.Gallen
Strassen, die nur oder fast ausschliesslich die Anstösser bedienen, sind, unbahängig vom Temporegime, nicht breiter als 3.50 bis 5m auszubauen. Auf Trottoirs kann verzichtet werden. Die so gewonne Fläche kommt der Begrünung zugute. Die reduzierte Breite benötigt nur auf einer Seite eine Entwässerung. So lässt sich Geld sparen, welche zur Finanzierung der Baumpflanzung und zur Grünpflege benötigt wird.
Trottoirs braucht es nur auf Strassen mit Quartiererschliessungsverkehr oder hohen Fussverkehrsfrequenzen, z.B. in der Nähe von Schulhäusern.
Beispiel Falkensteinstrasse siehe oben. Bild: Aus Kreuzungen können kleine Plätze werden, z.B. Röschstrasse – Krontalstrasse.
Sollten trotzdem Gehwege nötig sein – ich nenne sie bewusst Gehwege , nicht Trottoirs, sind sie unversiegelt auszuführen. Unversiegelte Gehwege sind im Ausland nicht ungewöhnlich, oft sogar die Norm. Gehwege nenne ich sie auch, weil sie durch den Multifunktionsstreifen von der Fahrbahn getrennt sind. Dadurch brauchen sie nicht aufwendig durch teure Granitbordsteine von einer solchen getrennt zu werden.
Es gibt keine Notwendigkeit, Gehwege versiegelt auszuführen. Pflasterungen, verlegte Betonplatten oder -verbundsteine erfüllen den Zweck genauso. Zudem sind sie kostengünstiger und erfordern zum Grünbereich, keine Randabschlüsse. Ebenso sind sie reparaturfreundlicher. Demzufolge könnte eine einseitige Entwässerung des Strassenraums genügen, was zusätzlich Kosten einspart.
Asphaltierte Trottoirs und Gehwege sind in unseren Nachbarländern die Ausnahme. Das Beispiel rechts zeigt die übliche Ausführung in München.
In Berlin werden Trottoirs seit der Kaiserzeit gleich ausgeführt. Die zwischen Pflästerungen eingelegten Gehwege bestehen entweder aus diagonalen Betonplatten oder aus parallel verlegten grossformatigen Granitplatten. Diese Gestaltung hat sich über die Jahrzehnte zu einem Markenzeichen Berlins entwickelt.
Aus den Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Strassengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege) von 2013.
Es ist richtig, dass das Fussverkehrsterritorium markiert ist, damit man es nicht einfach so befährt. Der Bau von Trottoirüberfahrten bei einmündenden Strassen hat seine Berechtigung. Deren Ausführung soll zur vorsichtigen und langsamen Fahrweise führen. Aber: Die Wirkung ist bei gefederten SUVs praktisch null. Bei ungefederten Velofahrenden hingegen herrscht Sturzgefahr – auch bei Langsamfahrt.
Rechts: aktuelle Ausführung in St.Gallen, links: Steinach ist velofreundlicher
Die Stadt St.Gallen sieht 3mm Absätze zwischen Wasserstein und Bordstein vor. Diese 3mm, oft werden mehr ausgeführt, sind gefährliche Sturzfallen. Sie sind gedacht, um Sehbehinderten Orientierung zu bieten. Doch ist dies effektiv in jeder Situation notwendig? Es gäbe durchaus andere Möglichkeiten, wie ein Bericht des Bundesamts für Strassen ASTRA zeigt. Von acht getesteten Randabschlüssen schneidet die St.Galler Variante bei den Velofahrenden am schlechtesten ab.
Die Ausbildung von sogenannten Zahnlücken, also punktuellen Abflachungen, genügt nicht, da diese in der Praxis die Fahrlinie zu eingeschränkt vorgibt. Abgesehen davon sind sie auch unästhetisch.
Behinderten- und velogerechte Randabschlüsse, Bericht zu den Testergebnissen
Trottoirbordsteine im Siedlungsgebiet sollten, wo es noch welche gibt, tief oder schräg gesetzt werden, wie dies auf dem Bild von Horn (oben) zu sehen ist. Die Höhe von Trottoirbordsteinen wurde ursprünglich so gewählt, dass sie nicht einfach so von Autos befahren werden. Doch erstens hat sich die Akzeptanz der Fussverkehrsbereiche erhöht, zweitens stellen diese 17mm für SUVs kaum ein Hindernis dar und drittens müssen keine punktuellen Rampen zu Parkplätzen oder Hofeinfahrten erstellt werden. Spätere teure Anpassungen wegen neuen Hofeinfahrten und privaten Parkplätzen lassen sich so vermeiden. Solche Umbauten werden selten korrekt und schön ausgeführt.
Es ist davon auszugehen, dass der Gehbereich auch so respektiert wird. Die Skepsis von Fussverkehr Schweiz ist zwar verständlich, kann aber relativiert werden. Die Zeiten, wo Autos noch ungeniert auf Trottoirs abgestellt wurden, sind vorbei. Die Regeln diesbezüglich sind klar und sie werden auch durchgesetzt.
Bilder: Grünes Gallustal
Noch immer werden Bäume in zu enge Asphaltlücken gezwängt. Ein Umdenken hat aber begonnen. Vermehrt wird auf Roste zugunsten einer Unterpflanzung verzichtet. Wo der Platz dafür fehlt, werden grosszügige Baumgruben eingesetzt. Dies sollte aber die Ausnahme bleiben.
Baumgrube für einen Rostdeckel. Diese Ausführung sollte die Ausnahme sein. Beispiel von der Scheibenackerstrasse St.Gallen. Auch hier wäre es anders möglich gewesen.
Sie bieten Platz für Linksabbieger und Schutzinseln für den strassenquerenden Fussverkehr. Oft werden sie einfach durchgezogen, um den Spurverlauf zu begradigen. Diese Restfläche könnte bepflanzt werden – auch mit Bäumen.
Sie werden zur Geschwindigkeitsreduktion so gebaut. Doch kann dieser Effekt auch durch weniger Breite erreicht wird. Seitenwechsel benötigen nur mehr Asphaltfläche gerade Fahrbahnen. Ein bandartiger Grün- oder Multifunktionsstreifen ergibt ein schöneres Strassenbild. Zudem ist die Ausführung günstiger.
Verkehrsberuhigte Strasse aus den 1980ern. Die wechselseitig platzierten Bauminseln schaffen weniger Grünfläche als ein durchlaufendes Band.
Alles, was auf der Fahrbahn stört, ist «Langsamverkehr». Und dieser gehört separiert. Diese Sichtweise des Autoverkehrs hat sich in den letzten Jahren stark verbreitet. Das Ergebnis sind kombinierte Velo- und Gehwege, sehr zum Leidwesen dieser beiden Verkehrsgruppen, denn sie stören sich gegenseitig.
Geteilte Flächen und Wartebereiche führen zwischen Velofahrenden und Zufussgehenden zu Konflikten. Daher sollten solche vermieden werden. Erfahrungen zeigen, dass Markierungen und Trennlinien nicht beachtet werden.
Oft wird für ihre Platzgewinnung die Fahrbahn des MIV in der Breite reduziert. Nachteil: Velofahrende, welche Konflikten mit Zufussgehenden und vortrittsmissachtendem Seitenverkehr ausweichen wollen und darum lieber auf der MIV-Fahrbahn fahren, stören nun erst recht. Sie werden faktisch auch ohne Benützungspflicht auf den Kombiweg verdonnert. Ein entspanntes, schnelles Fahren wird so Velofahrenden verunmöglichst.
Fotos: Markus Tofalo (wo nichts anderes angegeben ist)
«Langsamverkehr» gibt es nicht
Grünes Gallustal: Kapitel 4, M11: Massnahmen Strassenräume (106 MB)