Ist auf den ÖV noch Verlass?
Keine Luft, fahrende Bushindernisse, fehlende Lokführer
Es hätte ein schöner, abwechslungsreicher und spannender Sonntag werden sollen. Letzteres traf es schliesslich am präzisesten – aber nicht so wie geplant.
Am Morgen stand die Konfirmation der Tochter eines Freundes in Waldstatt an, am frühen Abend in Sirnach die Dernière eines Theaterstücks, für dessen Werbeauftritt ich verantwortlich sein durfte. Beies Höhepunkte, auf die ich mich schon länger gefreut habe.
Erster Termin: 9:30 Uhr Kirche Waldstatt. Mit dem Velo zum St.Galler Hauptbahnhof, von dort die S2 um 8:57 Uhr nach Herisau, 5 Minuten Umsteigezeit auf den 9:10-Bus nach Waldstatt, so der Plan. 15 Minuten zum HB reichen, also fahre ich um 8:35 Uhr los.
Panne 1: Das Velo steht mit einem Platten in der Velogarage. Es muss Jahre her sein, seit ich das letzte Mal mein Gefährt so vorfand. Das Ersatzvelo, schon Monaten nicht mehr angerührt, hat auch wenig Luft. Zur Wohnung rauf, Schlüssel für selbiges holen. Planänderung: Mit dem schlecht gepumpten Ersatzvelo gehts zum Neudorfplatz, von dort auf den nächsten Bus zum HB. Den 8:57 werde ich eher kaum mehr erwischen, aber um 9:07 fährt noch ein IC nach Gossau. Dort fahren um diese Zeit andere geladene Gäste für diese Konf vorbei. Ich könnte um Zustieg bitten und wäre noch pünktlich in Waldstatt. 8:43, Bushaltestelle Neudorf. Die Anzeige zeigt an, ein 2er in 2 min. Gemäss Fahrplan sollte der aber schon um 8:25 hier gewesen sein. Egal, ich freu mich, die S2 wäre noch zu schaffen. Drinnen im Bus die Bestätigung auf der Anzeige: Ankunft HB 8:56. Ich habe also 1min, um zum Gleis 5 zur S2 zu rennen.
Schon bald nach Abfahrt dümpelt der Bus mit ca. 15 km/h hinter einem Velofahrenden her. Der Überholweg reicht nicht mehr bis zur Haltestelle Grütli. Dieser Depp von Velofahrer könnte ja entweder langsamer fahren, damit er überholt werden kann, stärker trampeln oder auf die Autospur ausweichen. Gleiche Situation zwischen Grütli und der nächsten Haltestelle Krontal. Der gleicher Velofahrer wird wieder eingeholt. Er blockiert uns wieder. So wird das nichts mit der S2. Vor St.Fiden gelingt es dem Chauffeur endlich, das fahrende Hindernis zu überholen. Wir sind wieder in der Zeit. Abfahrt beim Marktplatz, die Uhr wechselt auf 8:56. Das wird saueng. Bahnhof. Ich hechte aus der Türe und spurte, was das Zeug hält die Unterführung runter. Die Erinnerung an dauernde Gasfussschmerzen während eines USA-Trips vor vielen Jahren hindert mich, bei besagter Treppe ein zu hohes Risiko einzugehen.
Gleis 5, 9:58 Uhr: Die S2 steht noch da. Geschafft. 9:59 – 9:00 – 9:01. Die S2 steht noch immer. Kann man sich darauf verlassen, dass der Bus in Herisau mit geplanter Abfahrt um 9:10 die S2 abwarten würde? Ich wechsle in ein vorderes Abteil, dessen Ausgang näher an der Bushaltestelle in Herisau sein wird. 9:03 – 9:04 – 9:05. Hm. Um 9:07 wäre noch der IC auf Gleis 1 für die Variante Gossau und sich dort pickuppen zu lassen. Ich lasse mal ein Whatsapp in den Gruppenchat raus, um über die unpünktliche Bahn zu lästern. Dann die Durchsage.
Panne 2: Ich kann die Lautsprechertante nicht mehr wörtlich zitieren, sie sprach aber sinngemäss davon, dass die S2 wegen Lokführemangels erst im 20 Minuten fahren wird. Praktisch gleichzeitig trifft eine Standortanfrage eines Gruppenchatsmitglieds ein. «St.Gallen» – «Sind in Gossau» – «Puh, bleibt dort bitte, ich bin um 9:14 mit einem IC dort.» Es ist 9:06. Ich hechte heute zum 2. Mal aus einer ÖV-Türe und spurte – wieder was das Zeug hält – durch die Unterführung. Den 9:07-IC nach Zürich auf Gleis 1 muss ich noch erwischen. Treppe hoch, der Zugbegleiter erkennt mein Ziel und deutet mir an, dass ich den Zug sicher noch schaffen werde.
Ich bin drin. 9:08 – 9:09. Auch bei diesem Zug sieht es nicht nach pünktlicher Abfahrt aus. Um 9:11 fährt er dann endlich los. In Gossau wiederholt sich die Sache mit Zugtüre und Unterführungsspurt. Meine geduldigen Freunde mussten schliesslich 3 Minuten länger auf mich warten. Später musste ich mir von ihnen sagen lassen, das man mich noch nie so ausser Atem gesehen habe.
Ich weiss jetzt nicht, soll ich mich ärgern oder freuen. 9:30 Uhr sei nicht der Beginn des Gottesdienstes. Wir wurden bewusst 30min früher einbestellt, um in der Kirche gute Plätze zu haben. Eine Kirche ist doch kein Kino. 10 Uhr wäre auch ohne diese Hektik und trotz aller Pannen zu schaffen gewesen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, weil solche Zeitreserven bei der einladenden Person nicht unüblich sind.
Gegen den morgendlichen Ärger ist das Sitzen in der Kirche eine willkommene Erholung. Nebenbei: die evang.-ref. Pfarrerin demonstrierte, dass eine Konfirmation unterhaltsam kurzweilig, locker und trotzdem feierlich abgehalten werden kann. Kirche ist fast wie Kino.
Nach dem Apero gehts zum Mittagessen. So gegen 14:30 checke ich mal den Fahrplan nach Sirnach. Ich freu mich auf den «Glöckner von Notre Dame» – nochmals Kirche, bzw. Kino – bzw. Theater. Drei Monate fehlte mir die Zeit, diese Inszenierung von Florian Rexer zu besuchen.
Doch Schock – Panne 3: Warum auch immer, bin ich von einer Frühabendvorstellung ausgegangen. Doch Beginnn ist um 15:00 Uhr. Das wäre selbst mit einem schnellrn Auto und eingerechnetem Ausweisentzug nicht mehr zu schaffen. Nach einem Entschuldigungsanruf gibst Nachtisch. Der Dank gehört meinen Freunden, die mich schliesslich mit dem Auto nach Sirnach fuhren, so dass ich kurz nach der Pause noch etwas von Esmeralda und Quasimodo mitbekam. Nach einer kurzen Derniérefeier fahre ich mit einem pünktlichen Zug nach St.Gallen zurück und lasse mich so gegen 22:00 Uhr noch auf einen gelungenen Münster-Tatort mit Thiel, Börne, Alberich und zwei toten Eichhörnchen zum Sonntagsausklang ein.
Übrigens: besagte Konfirmandin sei beruflich noch orientierungslos. Ich hätte da einen Tipp: Lokführerin.