MÜSLÜM: "Süpervitamin"
MÜSLÜMs neue Allzweckmedizin
Jeder seiner Telefonscherze wurde zehn-, wenn nicht gar hunderttausende Male gehört, der Clip zum Song «Erich, warum bisch Du nid Ehrlich» knackte gar die Millionenmarke. Darin rechnet MÜSLÜM mit dem damaligen Berner Stadtrat ERICH HESS und dessen Initiative zur Schliessung und Umnutzung der REITSCHULE ab. Im darauffolgenden Video «Samichlaus» geht's erneut einem SVP-Politiker an den Kragen: CHRISTOPH MÖRGELI und dessen «Sörgeli» wegen der schwarzen Schafen. Das TREND MAGAZIN traf die schillernde Kunstfigur und für kurze Momente auch SEMIH YAVSANER, seinen Berner Schöpfer, zum Gespräch über seinen neusten Streich «Süpervitamin».
MÜSLÜM, du verdankst deinen Erfolg als Komiker nicht zuletzt deinem kulturellen Hintergrund. Behält die politische Rechte recht – klauen die Ausländer unsere Jobs?
MÜSLÜM: Wir haben viel zu wenig Chomiker in diesem Land. Immigrant zu sein ist nicht einfach. Das erfährt auch der Schweizer, wenn er mal nach Spreitenbach oder nach Bümpliz geht. Generell sind wir vor allem Menschen – brechen wir das Ganze runter auf unser existenziellstes Dasein, sprich: Paarung.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
MÜSLÜM: Paarungstechnisch oder müsikalisch?
Vorerst musikalisch. Du hast ja jetzt als MÜSLÜM die Schweiz erobert. Wirst du deine Karriere in Türkei als Hansueli weiterziehen?
Ich arbeite generell aus dem Augenblick heraus. Nach vielen Monaten Laborarbeit chabe ich die Frequenzen gesammelt, die, wenn man sie hört, dazu beitragen, dass sich die Paarungsaktivität steigert. Wenn ich dich anschaue, chast du auch mein Süpervitamin gehört und jetzt bist du schon im 9. Monat (die Reporterin ist schwanger). Das sind halt die Nebenwirkungen von meinem «Süpervitamin».
Woher holst du deine Inspiration, wenn nicht gerade im Labor?Meine Inspiration chole ich mir bei meiner Roswitha...
Am Tag oder am Abend?
Durch die Woche eher am Abend. Da sind wir nachtaktiv – nacktaktiv. Aber ganz generell hole ich mir die Inspiration überall in diesem wunderschönen Land.
Wie entstand «Süpervitamin»?
Ich wollte mich erstens mal von diesem stereotypen Dasein befreien. Immer, wenn mich die Leute gesehen haben, haben sie gesagt, ah, das ist dieser Typ, der immer Chomplexe hat, immer schlegle will. Irgendwann habe ich mir gesagt, ich bin viel mehr. – ...du hast auch Tiefgang. – Ja, ich wollte Farbe in diese ach so triste Gesellschaft bringe. Drum entwickelte ich mit dem Süpervitamin eine Therapie. Wer es konsumiert, der hat keine Aggressione mehr, der hat keine Chomplexe, keine Depressione mehr. «Süpervitamin» wurde ohne Tierversuche, ohne die Umwelt zu verschmutze hergestellt – nur wenn es die Leute nicht kaufe hier drausse, ist es Rohstoffverschwendung, aber das ist dann ihre Verantwortung. Darum würde ich jedem empfehlen, mein «Süpervitamin» zu kaufen. Damit sie die Paarungsaktivität steigern können im Frühling.
Dann wird dein nächstes Projekt also ein Kinderalbum?
Muss ich ganz ehrlich sagen, Freulein, Sie haben ein gutes Näseli.
Wie sieht dein Alltag aus?
Ich arbeite sehr hart. Meine Aufgabe besteht darin, den Menschen Liebe zu geben. Auch ich habe nur ein bestimmtes Chontingent an Liebeselixier in mir. Darum habe ich dieses «Süpervitamin» ins Leben gerufe, damit es mehr von mir gibt, in einer chonzentrierten Form. So können sich all die Leute, die nicht wie du jetzt gerade direkt von mir was abbekomme, meine «Süpervitamin» im CD-Laden holen oder auf runterlade. Und da noch eine chleine Anmerkung. Nur, und wirklich nur das originale «Süpervitamin» hat seine hundertprozentige Wirkung.
Aber du kommst ja selbst von der schiefen Bahn und solltest so etwas Mitgefühl haben mit jenen, die's runterladen.
Ich sag mal so: Ich hatte gar nichts. Ich war Alkoholiker, ich gehörte zum Nachtlebe wie die Syphilis nach Bangkok, war lange Zeit Security in Clubs – ich war ganz unten. Aber runtergelade – runtergelade hab ich nie. Ich war vielmehr damit beschäftigt, raufzuladen. Darum wäre es ja schön, wenn der liebe MÜSLÜM sich statt Schwarztee auch einmal eine Gin Tonich leisten chönnt.
CORINNE SUTTER zeigt MÜSLÜM die Karikatur, die sie während des Gesprächs erstellt hat. MÜSLÜM wandelt im Nu zu SEMIH YAVSANER, seinem Macher, und meint in akzentfreiem Berndeutsch: «S'drückt huere dä SEMIH düre, enfall – ziemlich krass. Aber super.» Und weiter als MÜSLÜM: «Wunderschön. Sie chönne ja richtig gut zeichnen. Die einzige Zeichnung, die von mir gemacht wurde, war von diesem Phantomzeichner, damals, nach dem Tankstellenüberfall.»
MÜSLÜM, wie gehst du mit dem Rummel um deine Person um?
Mit dem Rummel wird am Wochenende gefummelt. Eine Wortspiel der ziemlich originellen Art, gesponsert vom Integrationsverein Bern.
Gibt’s Tabuthemen?
MÜSLÜM: Die Religion – oder Randgruppierungen wie zum Beispiel die SVP.
Bei wem kommst du besser an: bei Türken oder Schweizern?
Das ist ja das grosse Phänomen bei mir, ich chomme bei allen gut an, weil ich generell von der Liebe spreche.
Darf ich noch einige ernsthaftere Fragen stellen?
SEMIH YAVSANER: Ja, probieren wir’s.
Gibt’s nie die Problematik, dass Türken sich vom Spiel mit den Stereotypen angegriffen fühlen?
SEMIH: Nein, wirklich nicht. Sie scheinen zu sehen, dass in der Figur mehr steckt als nur dieser Stereotyp. Dass hier niemand den Türken schlecht zu machen versucht, sondern aus der schlechtesten Ausgangslage heraus – in ästhetischen Belangen ist MÜSLÜM stark benachteiligt – so etwas Schönes macht. Das ist natürlich relativ – ich empfinde es als schön.
MÜSLÜM entstand beim deiner Arbeit beim alternativen Lokalsender RABE. Erzähl uns von der Entwicklung dieser Figur.
SEMIH: Für mich war bald einmal klar, dass ich mein Potenzial zu improvisieren ausschöpfen wollte. MÜSLÜM ist irgendwo die logische Folge meiner Biographie. (Anmerkung der Redaktion: SEMIH YAVSANER ist Sohn türkischer Gastarbeiter.) Sein Slam ist jener, welcher im Umfeld meiner Kindheit gesprochen wurde – immigrantisch, wie auch die Musik, welche ich als Immigranten-Pop bezeichne.
Besteht ein Masterplan für MÜSLÜM?
SEMIH: Mir flogen die Ideen zu, da ich dem kreativen Prozess den Freiraum geben konnte, keine Deadline beachten musste. Ich habe eine tolle Plattenfirma gefunden, welche mir als Künstler freie Hand gibt.
Diese Freiheit bedarf gewisser finanzieller Absicherung. Musstest du in den vergangenen Monaten keinem seriösen Gelderwerb mehr nachgehen?
SEMIH: Doch, ich arbeitete bei einem Zürcher Privatradio, wo mir mein Erfolg dann auch zum Verhängnis wurde, da ich das geistige Eigentum nicht abgeben wollte zu Werbezwecken. Als Folge wurde mir quasi gekündigt, was ein ziemlicher Tiefpunkt in meinem Leben darstellte. Dazu war ich wegen einer inzwischen operierten Diskushernie halbwegs Invalide, wurde gerade Vater und schrieb aus diesem aus diesem Loch den «ERICH». Viele sprachen dann davon, dass dieser Job ein Sprungbrett war für mich – doch eigentlich war es vielmehr ein Sprung… – …ins Brett. – SEMIH: Aber zurück in die Gegenwart. Wir haben mit «Süpervitamin» in einer Woche 170‘000 Klicks erzielt auf YOUTUBE – über das Doppelte von «ERICH». Das ist auch der Beweis dafür, dass auch eine Message wie «Keine Kokain, keine Nikotin» – eigentlich ein Antidrogensong – ankommt.
MÜSLÜM zu zwei jugendlichen Fans: «Grüezi miteinander!» Diese klopfen ihm kollegial auf die Schultern: «Heeey, MÜSLÜM! Keine Kokain, keine Nikotin, yeeah!» Die FACHSTELLEN FÜR SUCHTPRÄVENTION weiss nun also, was sie zu tun hat: «Süpervitamin» verteilen und ab in die Ferien!
Album: «Süpervitamin» (Musikvertrieb)
www.muesluem.ch